Tatort Geburtstrauma: Ein Blick in den Kreißsaal
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Geburtstrauma – (Er)kennen und behandeln // Interview

Geburtstrauma. Etwas, das meines Erachtens noch viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommt und dadurch auch oft bei den Müttern, Vätern oder Säuglingen nicht wahrgenommen wird.

Hatte man, wie ich, jedoch Geburten, die schwierig und kritisch waren, und spricht dann mit anderen darüber, stellt man schnell fest: Geburtstraumata sind recht häufig! Sie können außerdem zu Depressionen oder Posttraumatischen Belastungsstörungen führen, wenn man sie nicht verarbeitet. Und manches mal ist der Grund ganz einfach die Unwissenheit über das Phänomen des Geburtstraumas.
Aus diesen Gründen habe ich mir Dr. Marion Maier, welche in der freien Seelsorge und Trauerbewältigung tätig ist, als Expertin für Geburtstraumata gesucht und hierzu interviewt.

Hallo Marion,

danke, dass du dich bereiterklärt hast, als Interviewpartner bereit zu stehen! 😊
Du arbeitest in der Freien Seelsorge und Traumabewältigung – was kann man sich darunter vorstellen?

In meine Praxis kommen Menschen, die in irgendeiner Form Hilfe und Unterstützung in ihrem Leben suchen. Manche möchten einfach gerne mal mit jemandem reden, der von außen auf die Situation schauen kann. Der also nicht selbst involviert ist. Andere kommen explizit mit einer traumatischen Erfahrung und möchten diese aufarbeiten.

Was versteht man unter einem Geburtstrauma? Und wie häufig kommt es schätzungsweise dazu?

Ein Geburtstrauma kann jeder – die Mutter, das Baby und auch der Vater – erleiden. Dabei muss es nicht einmal eine besonders schwierige Geburt sein. Eine ganz normale, medizinisch einwandfreie unproblematische Geburt kann trotzdem im Erleben des Einzelnen traumatisch gewesen sein.
Ein Trauma – ganz allgemein – erfährt man immer dann, wenn man sich wehrlos und hilflos fühlt und Angst hat. So kann für den einen eine Situation komplett traumatisch gewesen sein, während die gleiche Situation für einen anderen in seinem Erleben überhaupt kein Problem war. Es kommt immer auf das eigene Erleben an.
Deshalb können auch die Babys oder die Väter an einem Geburtstrauma leiden – wenn die Väter zum Beispiel ihre Frauen und/oder das Kind leiden gesehen und sich selbst hilflos gefühlt und Angst gehabt haben.

Ein Geburtstrauma kann jeder
– die Mutter, das Baby und auch der Vater – erleiden.
Dabei muss es nicht einmal eine besonders schwierige Geburt sein. […] Es kommt immer auf das eigene Erleben an.

Wie äußert es sich? Woran erkennt man, dass man eine traumatisierende Geburt hatte?

Es kann sich ganz unterschiedlich äußern. Häufig ist da ein Gefühl von „nicht so richtig da sein zu können“, irgendwie innerlich „leer“ zu sein, neben sich zu stehen. Es kann sich äußern darin, sich dem Kind nicht richtig zuwenden zu können, keine Liebe zu fühlen oder es sogar abzuwehren. Es kann sich in Wutanfällen äußern, in Depression, oder auch in Schlafstörungen und sogenannten „Flashbacks“ – dass man also die Geburt oder Teile, Bilder davon immer wieder neu durchlebt oder aus einem Gedankenkarussell einfach nicht raus kommt. Möglich sind auch Schmerzen, die sich medizinisch nicht erklären lassen und trotzdem da sind und nicht verschwinden wollen.
 

Welche Folgen hat es, wenn man es „ignoriert“?

Auch das ist unterschiedlich. Wenn jemand sich dessen gewahr ist, dass er oder sie traumatisiert ist, sich gut kennt und gut mit sich umgeht, kann es sein, dass er das Trauma selbst überwinden kann.
Wer es aber ignoriert im Sinne von „Wegschieben“ und eine Art Betondecke drüber legt, wird in der Regel früher oder später mit Symptomen von PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) zu tun haben.  Die Symptome sind ganz ähnlich den Symptomen des traumatischen Erlebnisses. Doch sie weiten sich aus und verstärken sich.
Vor allem dadurch, dass das traumatische Erlebnis verdrängt wurde, bringt derjenige seine Symptome nicht mehr mit diesem Erlebnis in Verbindung, weil er glaubt, dass das ja schon längst verarbeitet wäre. Da es aber immer noch unverarbeitet vorhanden ist, springt es bei vielen Gelegenheiten wie ein Schachtelteufel immer wieder hervor. Die Person erlebt immer wieder in verschiedensten Situationen (die gar nichts mit dem traumatischen Erlebnis zu tun haben müssen) die Ängste und die Bedrohung von dem traumatischen Erleben damals, weil der Organismus nach Möglichkeiten sucht, aufzuräumen und aufzuarbeiten. Was aber letztlich nur gelingt, wenn diejenige Person das auch als das wahrnimmt, was es ist. Und wenn sie anfängt, das Erlebte wirklich bewusst zu verarbeiten.

Was tun, wenn man ein Geburtstrauma hat? Und wie kann man als Außenstehender helfen?

Wichtig ist es zunächst, es wahrzunehmen und anzuerkennen, dass es so ist.
Außenstehende können helfen, indem sie es ebenfalls anerkennen. Ohne in Mitleid zu zerfließen, weil Mitleid schwächt.
Was hilft, ist demjenigen zu helfen, in irgendeiner Form etwas Gutes in seinem Körper zu fühlen. In Kontakt zu kommen mit dem Körper dort, wo er nicht weh tut, dort, wo er sich gut anfühlt. Das hilft, wieder im eigenen Körper anzukommen und ein Stück Stabilität wieder zu finden.
Und natürlich hilft es, sich therapeutische Hilfe zu suchen. Man muss nicht ewig mit der Belastung eines Traumas leben!

Was meinst du mit „etwas Gutes in seinem Körper zu fühlen“?

Ein Trauma landet nicht nur in der Psyche, sondern betrifft immer auch den Körper. Der Schreck, der Schock „fährt einem buchstäblich in die Glieder“ – und dort bleibt er. Und weil sich das so fürchterlich anfühlt, so überwältigend, spaltet sich ein traumatisierter Mensch mehr oder weniger von seinem Körper ab. Der Körper wird sozusagen zum Feind.
Um aus dem Trauma auszusteigen ist es dann notwendig, sich wieder neu mit dem Körper anzufreunden. Das geht so, dass man sich auf die Suche begibt nach positiven Körperempfindungen. So kann man nach und nach wieder mehr bei sich ankommen und die Gefühle, die zum Trauma gehören, lösen sich dadurch nach und nach.
Mit positiven Körperempfindungen meine ich zum Beispiel: Sich bequem hinsetzen und mal nur spüren, wie sich die Füße am Boden anfühlen.

Wohin kann man sich konkret wenden?

Es gibt viele verschiedene Traumatherapeuten. Ich würde allerdings jedem empfehlen, sich umzuschauen nach Therapeuten, die diese Art der Körperarbeit mit einbeziehen. In ganz besonderer Weise tun das Therapeuten, die nach dem Ansatz „Somatic Experiencing“ von Peter Levine arbeiten – wenn man dieses Stichwort bei Google eingibt, findet man sicher einen entsprechenden Therapeuten in der näheren Umgebung.

Das war sehr informativ, danke!
Und vielen Dank auch, dass du dir die Zeit genommen hast, all die Fragen zu beantworten!

Das Thema „Geburtstrauma“ ist so komplex und individuell, dass es nicht in nur einem Artikel vollständig behandelt werden kann (was jedoch auch nie das Ziel des Interviews war). Man könnte einen eigenen Blog nur damit füllen.
Hast du noch weitere hilfreiche Artikelempfehlungen o.ä.? Dann lass sie gerne im Kommentarfeld da!

 

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2 Kommentare

  1. Meine erste Geburt war ebenfalls sehr traumatisch und es hat lange gedauert, zu erkennen, dass ich wirklich ein richtiges Trauma habe, dass ich nicht alleine aufarbeiten kann. Ich habe mir dann Hilfe geholt und mittlerweile schaffe ich es, über die Geburt zu sprechen ohne das direkt Tränen bei mir fließen…

    1. Toll, dass du es erkannt hast und Hilfe bekommen hast! Ich finde vor allem das Erkennen ist so schwierig – auch, weil es bislang irgendwie ein totgeschwiegenes Thema ist.

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